Pasewalker Neonazis beim Tollensemarsch
Am 24. Februar 2024 fand zum wiederholten Male der alljährliche Tollensemarsch bei Neubrandenburg statt. Ursprünglich eine Veranstaltung des sogenannten Kulturkreis Mecklenburg-Strelitz e.V., einem Neonazi-Tarnverein zur angeblichen Brauchtumspflege aus dem Umfeld der 2009 verbotenen Kameradschaft Mecklenburgische Aktionsfront, wird dieser Neonazi-Leistungsmarsch vom mutmaßlichen NSU-Unterstützer und ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten David Petereit organisiert. So folgen seit 2004 jährlich 40 bis 130 Nazis Petereits Einladung und wandern am letzten Samstag im Februar rund 38 Kilometer um den Tollensesee in Neubrandenburg.
Der Tollensemarsch 2024
In diesem Jahr nahmen, wie schon 2023, etwa 80 Neonazis an der Wanderung teil. Die Organisation des Tollensemarschs läuft klandestin ab, es gibt keine öffentlichen Aufrufe - die Teilnahme erfolgt in der Regel auf Einladung. Die Strecke um den Tollensesee wird vorab von Neonazis abgesichert, um möglichen Protest oder andere Störungen zu verhindern. Am Streckenverlauf sowie im Ziel am Augustabad werden Versorgungsposten aufgebaut.
Wie in jedem Jahr wurde die Veranstaltung auch 2024 von Polizist:innen und Staatsschützer:innen begleitet, jedoch nicht verhindert. Die Polizei trägt dazu bei, dass eine Versammlung von fast 80 Neonazis aus dem gewaltbereiten Kameradschaftsspektrum in Neubrandenburg ungestört stattfinden kann. Auch die lokale Presse bedachte die Veranstaltung mit keinerlei Interesse, obwohl die Wanderung ein fester Termin im Kalender der Neonazi-Szene um David Petereit ist.
Viele der Teilnehmer:innen sind bei der Partei Die Heimat (vormals NPD), bzw. deren Jugendorganisation Junge Nationalisten aktiv und kommen zumeist aus Mecklenburg-Vorpommern, aber auch aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg oder gar Sachsen.
Strukturaufbau an der frischen Luft
Derartige Märsche dienen der rechten Szene zum einen als identitätsstiftende Maßnahme und zur Vernetzung, aber sie sind zum anderen auch Teil der neonazistischen Kernideologie. Oder wie der ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete Tino Müller, der in diesem Jahr ebenfalls am Tollensemarsch teilnahm, einmal formulierte: „Wir werden nicht aufhören uns körperlich und geistig zu schulen, bis unsere Jugend frei ist vom Ungeist dieser Zeit.“
Dieser Art des Politikverständnisses und Strukturaufbaus folgt auch die Neonazi-Partei Der III. Weg. Längst nicht mehr in Konkurrenz, sondern eher in Kooperation mit ehemaligen NPD-Strukturen, versucht diese aktuell offensiv Nachwuchs zu rekrutieren. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei in Pasewalk. In der Region finden immer wieder Aktionen sowie Kampfsporttrainings statt, die vom Dritten Weg organisiert werden. Zuletzt trainierten sie auf einem Spielplatz in Pasewalk und gedachten der Bombardierung Dresdens. Wie bereits im Jahr 2023 nahmen einige Vertreter des Dritten Weg am Tollensemarsch teil.
Maulheld trifft Selbstdarsteller
Auch der Sohn des Pasewalker Bürgermeisters Danny Rodewald (parteilos) gehörte in diesem Jahr zu den “Braunen Wanderern”. Der 22-Jährige Julian Rodewald erlangte zuletzt dadurch Bekanntheit, dass er im Oktober 2023 auf einem Erntefest im vorpommerschen Bergholz gemeinsam mit seinen Freunden “Deutschland den Deutschen, Ausländer raus” zu einem Techno-Beat von Gigi D´Agostino grölte.
Dass das Video öffentlich wurde, ist eher ungewöhnlich und dürfte nicht nur Rodewalds Vater missfallen haben, sondern auch älteren “Kameraden”. Doch Selbstdarstellung macht auch vor der um Aufmerksamkeit mit Akteur:innen wie der AfD buhlenden Neonazi-Szene nicht halt. So kam es rund um den Tollensemarsch in den vergangenen Jahren ebenfalls häufiger vor, dass der rechte Nachwuchs online mit der Teilnahme an der exklusiven Veranstaltung zu prahlen versuchte. So postete @danny_fes (!) (ebenfalls Teilnehmer von Aktionen des Dritten Wegs) 2022 und 2023 Fotos von der Wanderung auf Instagram.
Sowohl @danny_fes (!) als auch Max Krüger gehören zum Freundeskreis Julian Rodewalds.
Vorpommerscher Normalzustand - das Kartell der Ignoranz
Der Dritte Weg und die Clique von Julian Rodewald erfährt bis auf das Engagement einiger Weniger aus der Zivilgesellschaft kaum Gegenwehr. Weder die Pasewalker Stadtverwaltung noch die Polizei setzen den extrem rechten Strukturen in Pasewalk etwas entgegen. Es stellt sich die Frage, ob und mit welchem Ehrgeiz Pasewalks Bürgermeister Rodewald die organisierte Neonazi-Szene in seiner Stadt überhaupt bekämpfen will oder kann, wenn sein eigener Sohn fester Bestandteil derselben ist.
Am 5. Februar veranstaltete das Bündnis “Vorpommern - Weltoffen, demokratisch, bunt” eine Kundgebung für Demokratie. Der Pasewalker Bürgermeister Rodewald meldete sich aus der Ferne mit einem Grußwort, das aktuell nur als Lippenbekenntnis gewertet werden kann.
Die Demonstrierenden vor Ort bekamen die Hegemonialansprüche der Rechten zu spüren, als ein Gemisch aus Corona-/Umsturz-Demo-Klientel gemeinsam mit Rechten aus der gesamten Region versuchte die Demo für Demokratie und Vielfalt zu stören. Zunächst wurden Flyer mit dem Titel „Nationale Gegenoffensive! Schluss mit linken Hetzereien und Verbotsphantasien“ von Angehörigen des Dritten Wegs in die Menge geworfen. Auf Fotos von den Störern erkennt man unter anderem den Tollensemarsch-Teilnehmer Kevin Klann aus Torgelow, der sich im Internet beim Kampfsporttraining vom Dritten Weg präsentiert.
Im Anschluss an die Kundgebung wurde ein Demonstrant körperlich angegriffen und dabei verletzt. Das Polizeirevier, welches sich in unmittelbarer Nähe zum Kundgebungsort befindet, scheint wenig für den Schutz demokratischen Protests übrig zu haben, selbst wenn dieser sich mit grölenden Neonazis konfrontiert sieht. So waren zu Beginn der Veranstaltung auf dem Marktplatz keine Beamten anwesend.
Ob das ein Zufall ist, kann man sich ebenso fragen, ist doch der Leiter des Reviers jener André Stegemann, der schon 2011 kein Problem darin erkennen konnte, der örtlichen Kameradschaft den Schlüssel zum Jugendklub in Bargischow zu übergeben. Stegemann war damals Bürgermeister der Gemeinde südlich von Anklam.
Dass die extreme Rechte und insbesondere der Dritte Weg so offen in Pasewalk agieren kann, wird durch die persönlichen Verbindungen der Neonazis in Stadtpolitik und Polizei ermöglicht. Diese Strukturen sind von außen nur schwer zu (er)fassen, da sie sich in der Region über Jahre und Jahrzehnte entwickeln konnten.