Aktuell sprießen ständig neue (Schein-)Organisationen von und für jugendliche Neonazis aus dem Boden, die zunächst vor allem im Internet, auf Instagram und TikTok auftreten. Sie bespielen insbesondere den digitalen Raum, nutzen aber auch klassische Aktionsformen wie Demonstrationen und Kundgebungen, um ihre Ideologie sichtbar zu machen.

Häufig handelt es sich bei den Akteur:innen, allein schon aufgrund ihres Alters, nicht um ideologisch gefestigte Neonazis. Vielmehr verkörpern sie einen extrem rechten Lifestyle. Der Hass auf queeres Leben und Linke eint diese Jugendlichen.

Mobilisierung gegen den CSD

Im Jahr 2024 gab es eine Reihe von Mobilisierungen gegen Christopher-Street-Day-Veranstaltungen (CSD) in ganz Deutschland. Auch in Mecklenburg-Vorpommern riefen insbesondere jugendliche Neonazis dazu auf, den ersten CSD in Wismar im September zu stören. Verschiedene Strukturen teilten diese Aufrufe und versammelten sich zu einer Kundgebung gegen den CSD unter dem Motto “LGBTQ & raus bist du”.

Als Teil der Ordner:innen-Struktur hatten Mitglieder der Gruppe MJV, hier "Tim"* (graue Kapuze) und "Anna" (links) Kontakt zum Vorsitzenden der Neue Stärke Partei, Christoph Thews (graue Haare), der die Rolle der Versammlungsleitung übernahm. Quelle: Pixelarchiv.
Andere Teile der MJV, hier zum Beispiel Antony Jano Alexander Stumpf (graue Mütze, Jeans) mit zwei weiteren Personen, die dem Umfeld der MJV zugeordnet werden können, nutzten die Versammlung eher zur Vernetzung mit anderen rechten Akteur:innen. Quelle: Pixelarchiv.

Mecklenburgs Jugend voran

Das Geflecht dieser Strukturen und Einzelpersonen ist gleichermaßen öffentlich und undurchsichtig. Viele der Mitglieder treten sehr offen mit ihren Klarnamen auf und teilen ihr Leben auf öffentlichen Social Media Profilen. Ständig erscheinen neue Profile, welche suggerieren hinter ihnen stünde eine Gruppierung.

Die Verbindungen der Personen untereinander und zu anderen Organisationen sind teilweise schwer zu greifen. Es gibt Anhaltspunkte für Überschneidungen mit bestehenden Organisationen der extremen Rechten wie beispielsweise der Heimat, der Neuen Stärke, aber auch dem Dritten Weg und der AfD. Ideologisch sind die meisten Personen noch nicht gefestigt, sie können sich aber auf einige Feindbilder und menschenverachtende Grundannahmen verständigen.

In Mecklenburg-Vorpommern ist die sogenannte Gruppe Mecklenburgs Jugend voran (MJV) sehr präsent. Die MJV versucht vor allem queere und linke Veranstaltungen zu stören, organisiert aber auch eigene Versammlungen. Anfang März wurde zudem bekannt, dass sie Kontakte zum Dritten Weg Stützpunkt Nord/ Ost knüpfen.

Gruppenbild der MJV von März 2025 vor dem Rostocker Hauptbahnhof. Unter den Anwesenden sind "Yale" (4.v.l.), Celine Orlowski (5.v.l.), Cornell Zürner (6.v.l.), "Tim" (8.v.l.), "Damian" (11.v.l.) und "Josi Meilihn" (12.v.l.). Quelle: Instagramkanal der MJV.
Felix Goritzka (schwarz-weiß-roter Schlauchschal und Handschuhe, erste Reihe) inszeniert sich als Anführer des Störversuchs gegen eine linke Demonstration. Unter den anwesenden MJV-Mitgliedern: In erster Reihe Antony Jano Alexander Stumpf (Jeans, schwarze Mütze, bandagierte Hände) und "Tim" (links neben Antony, Bart), sowie Erik Kasch (grün-schwarze Jacke, hinter Goritzka). Grevesmühlen 14.12.2024. Quelle: Pixelarchiv.

Innerhalb dieser Struktur nimmt der 18-jährige Felix Goritzka eine hervorgehobene Position ein. Im Internet präsentiert er sich als ein Anführer der MJV und auch auf Demonstrationen übernimmt er Aufgaben, die auf eine leitende Position hinweisen - etwa die Kommunikation. Goritzka wohnt in Greifswald und hat bis zu seiner Kündigung Anfang diesen Jahres bei der Diakonie als Pflegehelfer gearbeitet. Gleichzeitig ist er bereits mehrfach durch die Anwendung körperlicher Gewalt aufgefallen.

Gemeinsam mit anderen MJV-Mitgliedern hat er außerdem Wahlkampfstände der SPD und der Linken gestört. Der Stand der SPD wurde sowohl verbal als auch durch das Werfen von Eiern angegriffen und durch Hitlergrüße die rechte Gesinnung klar zum Ausdruck gebracht. Der Stand der Linken wurde mit einer Personengruppe aus dem Umfeld der Greifswalder MJV im Rücken versucht einzuschüchtern. Auf Instagram fiel er in den letzten Monaten auch durch die Bedrohung von lokalen Journalist:innen auf, im Stadtbild wiederum durch Sticker und Sachbeschädigungen - unter anderem an Wahlplakaten.

Die bereits im Vorfeld des CSD Wismar aktive MJV stellte auf der Versammlung im Lindengarten Teile der Ordnerstruktur und wirkte durch ein Megafon stark an der Organisation der Veranstaltung mit. Hier im Bild Felix Goritzka mittig mit Megafon. Wismar 14.09.2024. Quelle: Pixelarchiv.
Felix Goritzka (Glatze ohne Bart) und "Tim" (Glatze mit Bart) auf dem Wahlkampfabschluss der AfD in Rostock am 22.02.2025.

Auch das MJV-Mitglied Antony Jano Alexander Stumpf aus Wismar sucht gewalttätige Auseinandersetzungen, zumindest, wenn die Kräfteverhältnisse stimmen. Er war beteiligt, als mehrere Neonazis im Nachgang einer Demonstration am 19.10.2024 in einer S-Bahn einen Linken angriffen. Mehrere schlugen und traten gemeinsam auf den Betroffenen ein, während der Rest Fahrgäste am Eingreifen hinderte. Auf den Videos einer Überwachungskamera ist auch Antony zu sehen.

Linkes Bild: Antony Jano Alexander Stumpf auf der Neonazi-Demonstration der DJV am 19.10.2024 in Berlin. Rechtes Bild: Antony, durch seine Kleidung erkennbar, am Abend des selben Tages in der S-Bahn als Teil einer Gruppe, die einen Linken angreift. Quellen: Pixelarchiv, Screenshot Spiegel TV 28.04.2025.

Der MJV sind aktuell 15-20 Personen zuzuordnen. Besonders aktiv sind “Tim"*, Antony Jano Alexander Stumpf, Cornell Zürner, “Eddie”, Erik Kasch, “Yale”, “Timsko” und Celine Orlowski. Der Grevesmühlener Cornell Zürner pflegt enge Verbindungen zur Neuen Stärke. Er trat bereits als Redner auf Kundgebungen der Partei auf. Die anderen genannten Personen sind vor der Gründung der MJV im Gegensatz zu Zürner deutlich weniger bis nicht im Kontext rechter Strukturen aufgefallen.

Auf dem jährlich stattfindenden geschichtsrevisionistischen "Gedenkmarsch" in Dresden waren "Tim" (Glatze, heller Bart, Fleecejacke, rechter Bildrand), Cornell Zürner, "Max" (schwarzer Schlauchschal, keine Mütze, 3 Reihen hinter "Tim") und weitere im Umfeld der MJV präsente Personen als Teil einer aus MV angereisten Gruppe zugegen. 15.02.2025. Quelle: Pixelarchiv.
Im Sommer letzten Jahres nahm Antony Jano Alexander Stumpf (graue Kapuze) an einer Versammlung der Neue Stärke Partei in Rostock teil, hier im Gespräch mit einem weiteren MJV-Mitglied (Rücken zur Kamera, mittig). Quelle: Pixelarchiv.
Cornell Zürner (ganz links, Arm in Schlinge) auf einer Kundgebung der Neue Stärke Partei im Sommer 2024 in Rostock. Außerdem zu sehen: Marc Drexler (hinten, groß, Sonnenbrille), Christoph Thews (mittig) und Vincent Kühn (vorne rechts, Northface-Pulli).Quelle: Pixelarchiv.
MJV-Mitglieder treten online offen auf. Die Selfies reichen von eindeutig rechts bis seriös. "Damian" mit Nazi-Flagge, "Yale" mit Rechtsrock, Jessica Below und Celine Orlowski unauffällig, Erik Kasch seriös. Quelle: Screenshots der Instagram-/ Tik-Tok-Profile.
Im Oktober 2024 besuchte "Josi Meilihn" (Jeans, mittig, begrüßt gerade "Anna") einen von der "Jungen Alternative" organisierten Vortrag in Schwerin. Quelle: Pixelarchiv.
"Lenny" stand auf der Versammlung beim CSD Wismar in Kontakt mit Ordner:innen-Struktur und verschiedenen anwesenden Jugendgruppen. Quelle: Pixelarchiv

Anknüpfungspunkte für den Dritten Weg

Das gewaltbereite Auftreten der MJV und ihre Organisierung bieten Anknüpfungspunkte für etablierte Neonazistrukturen, die versuchen Nachwuchs zu rekrutieren. Organisierte, erfahrenere Neonazis können Einfluss auf die Ideologie der jungen Neonazis nehmen und sie für ihre eigenen Strukturen gewinnen. Dieses Potential hat der Dritte Weg Stützpunkt Nord/ Ost erkannt und angefangen Kontakt zur MJV zu suchen. Im März 2025 haben sie begonnen gemeinsame Aktionen unter dem Label der Partei durchzuführen. Sie haben Flyer in Greifswald verteilt und zusammen Kampfsport trainiert.

Der Stützpunkt Nord/ Ost vom Dritten Weg beim Training mit MJV-Beteiligung in Greifswald am 01.03.2025. Quelle: Telegramkanal des Dritten Weg Stützpunkt Nord/ Ost.

Die Einbindung in solche Strukturen würde weitere Organisations- und Vernetzungsmöglichkeiten für die MJV bieten. Auch für den Dritten Weg offenbart eine Kooperation Chancen, da sie sich mithilfe der MJV vor allem die Region Greifswald erschließen könnten. Dennoch gilt es abzuwarten, ob die MJV fest in den Stützpunkt Nord/ Ost der Partei integriert wird.